Dr. Christine Preißmann
Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie

Schwierigkeiten und Erfahrungen
im Gesundheitssystem

Immer noch haben viele Menschen mit Autismus keinen Zugang zum allgemeingesundheitlichen Gesundheitssystem. Oft wurde von Betroffenen über viele Jahre hinweg kein Arzt besucht, und Vorsorgemaßnahmen nicht durchgeführt, weil die Hürden zu hoch sind. Über wichtige Themen im Bereich Gesundheit, wie Hygiene, gesunde Lebensführung, Sport, Stress und Entspannung oder das große Gebiet der Sexualität, wissen autistische Menschen oft kaum Bescheid. Es gibt auch keine Konzepte, ihnen bei diesen Fragen zu helfen. Obwohl psychische Störungen, wie Depressionen und Angst, bei Autismus eher die Regel als die Ausnahme sind, gibt es nur wenige Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie. Studien haben ergeben, dass bei über der Hälfte der betroffenen Erwachsenen eine begleitende Depression vorliegt.

Der Erstkontakt zum Gesundheitssystem erfolgt für autistische Menschen meist auf Veranlassung Dritter und nicht aus eigenem Antrieb. So ergibt sich auch, dass die Wahl des Arztes nicht durch den Betroffenen selbst erfolgt, sondern der Arzt der Eltern aufgesucht wird oder einer Empfehlung der Wohneinrichtung gefolgt wird. Dies ist besonders problematisch, da für autistische Menschen große Hürden im Umgang mit fremden Menschen und im Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu einem Arzt liegen. Auch die Wartezimmer-Situation bei Ärzten ist schwierig, wenn Betroffene nicht wissen, was sie erwartet und sich so Unruhe noch verstärken kann. Im Arzttermin selbst ist es für viele Betroffene schwierig, eigene Schmerzen und Befindlichkeitsstörungen zu beschreiben. Autistische Menschen brauchen oft längere Zeit ihr Anliegen aufzuzeigen, was unter dem allgemeinen Zeitdruck bei Arztterminen zu Spannungen führt. Zudem werden uneindeutige Informationen oft nicht verstanden, z.B. wird die Frage „wie ist ihr Stuhl?“ wörtlich beantwortet. Das wortwörtliche Sprachverständnis erfordert von Ärzten eine klare Kommunikation.