Podium: Aus der Sicht Betroffener

Dr. Christine Preißmann, Silke Lipinski
Konzepte und Weiterentwicklungsbedarfe im Gesundheitswesen

Statements und Diskussion –
Podiumsbeiträge aus der Sicht Betroffener

 

Dr. Christine Preißmann

Dr. Christine Preißmann spricht sich dafür aus, dass es selbstverständlich wird, dass Ärzte, die sich nicht mit Autismus auskennen und autistische Klienten in ihrer Versorgung haben, sich eigenständig über das Störungsbild informieren. Als Ärztin bestätigt sie aufgrund beruflicher Erfahrung die teilweise „miserable“ gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Autismus. Eine qualifizierte medizinische Begleitung von Autisten darf nicht nur im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie stattfinden und auch nicht auf Ärztinnen und Ärzte mit Interesse am Thema Autismus begrenzt bleiben. Alle Ärztinnen und Ärzte müssen sich mit Autismus auskennen, und allgemein muss eine Behandlungsoption für Autisten in jedem Bereich der Gesundheitsversorgung selbstverständlich werden. Aus ihrer eigenen Erfahrung berichtete Frau Dr. Preißmann, dass ein Asperger-Syndrom bei Erwachsenen oft erst durch ein Auftreten einer psychischen Störung wie einer Depression erkannt wird. Dafür braucht die behandelnde psychotherapeutische oder psychiatrische Fachkraft Autismus-Fachkenntnisse oder aber die Bereitschaft, sich umgehend einzuarbeiten.

 

Silke Lipinski

Silke Lipinski spricht sich dafür aus, dass Inhalte zum Thema Autismus Teil der ärztlichen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Kurrikula werden. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Erwachsene mit Autismus bei einem Psychiater vorstellig werden, und innerhalb von wenigen Minuten wird ein möglicher Autismus ausgeschlossen. Und dies, obwohl Autismus-Diagnostik nicht Teil der psychiatrischen Ausbildung war und eine wirkliche Autismus-Diagnostik meist über den Verlauf von drei Untersuchungstagen stattfindet. Oft ist bei medizinischem Fachpersonal die falsche Vorstellung gegeben, dass es sich bei Autismus um ein Kinder- und Jugendphänomen handelt. So wird z.B. bei einem erwachsenen Autisten nicht erkannt, dass sich scheinbar psychotische Symptome von alleine zurück bilden, sobald der Stress vorbei ist. Grundsätzliche Informationen über die spezifischen Besonderheiten von Autismus müssen auch in Handbüchern für Notfallmediziner vorhanden sein. In der Notaufnahme von Krankenhäusern muss eine allgemeine Kenntnis über Autismus gegeben sein, damit Zustände der Desorientierung bei autistischen Patienten richtig gedeutet werden. In der psychiatrischen Notaufnahme kann es ohne Wissen über Autismus, z.B. bei Anzeichen von selbstverletzendem Verhalten eines Menschen mit Autismus, schnell zu einer diagnostischen Fehldeutung als Borderline-Störung kommen.